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CHRONIK
von Otto Kleinschmidt
Gewerkschaften im Oberwesterwald

 

 
Industrien, Dienstleistungsbetriebe & Gewerkschaften im Oberwesterwald
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KAPITEL 3.

Gewerkschaften im Kaiserreich

 

Aus der Zeit vor 1918 sind nur wenige Nachweise über gewerkschaftliche Aktivitäten vorhanden.

 

Es ist aber mit Sicherheit anzunehmen, daß viele Oberwesterwälder, die im benachbarten Siegerland, im Dillenburgischen, im Unterwesterwald und im Limburger Raum Arbeit gefunden hatten, sich dort auch Gewerkschaften angeschlossen haben. Das gilt vor allem für die „Pendler“ zum „Friedrich Wilhelm“ und „San Fernando“ in Herdorf, zur Grube „Friedrichssegen“ in Weitefeld, zur „Neue Haardt“ in Weidenau, zur Grube „Bindweide bei Gebhardshain, zur Eisensteingrube bei Eiserfeld, zur Eisensteingrube „Bautenberg“ in Unterwilden bei Neunkirchen (die schon 1903 über ein Speise- und Schlafhaus auf dem Grubengelände verfügte), zur Grube „Königsstollen“ bei Herdorf, und zum Basaltbruch und Quarzitlager bei Weitefeld.

 

Von Konrad Metzger aus Lochum, der im In- und Ausland auf Wanderschaft, d.h. mit Wanderbuch „auf der Walz“ war, wissen wir, daß er als 13jähriger Lehrling im Jahre 1892 in Hamm (Westfalen) dem Tischlerverband beitrat.

 

Unterbrochen wurde die gewerkschaftliche Entwicklung bereits vorher durch das sogenannte „Sozialistengesetz“ vom 21.10.1878. Offiziell hieß es das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“. Alle sozialdemokratischen oder kommunistischen Vereine, Versammlungen und Druckschriften wurden verboten, ebenso gewerkschaftliche Organisationen und Einrichtungen; z.T. lösten sie sich unter polizeilichem Druck auf.

 

Die Bürgermeister der einzelnen Orte mußten Berichte über die Abhaltung von Arbeiterversammlungen an ihre Vorgesetzten erstatten. Sicher sind in manchem Meldebuch der Ortspolizeibehörden die Beobachtungen der sogenannten „Polizei­diener“ noch vorhanden.

 

Die durch die Industrialisierung entstandene Unzufriedenheit versuchte die Regierung auch durch neue Gesetze wie der Kranken- und Invalidenversicherung aufzufangen, ebenso durch eine Neufassung der Gewerbeordnung. Diese trat zum 1. Oktober 1900 in Kraft. Danach sollte die Ruhezeit der in Ladengeschäften und in den zugehörigen Schreibstuben und Lagerräumen angestellten Personen auf mindestens 10 Stunden bemessen sein. Eine Mittagspause von 1 ½ Stunden wurde festgesetzt. Ladenschlußzeiten galten von 21.00 bis 05.00 Uhr. Ausnahmen nach oben und unten waren möglich. Und jugendliche Arbeiter konnten nunmehr bis zu je 4 Stunden des Vor- und Nachmittags ohne Gewährung von Pausen beschäftigt werden. In einer Kommentierung hieß es: „…Jedenfalls zeigt sich auch hier wieder einmal, wie wenig es berechtigt ist, von einem Stillstand der Social-Reform zu reden.“

 

Die Arbeitsbedingungen wurden überwiegend durch „Arbeits­ordnungen“ geregelt, die ähnlich wie Mantel- und Lohntarifverträge aufgebaut waren, sich auf die Gewerbeordnung oder das Berg-Gesetz stützten und sogar für das „Zuspätkommen“ Geldstrafen vorsahen.

 

Die Pendler in Nachbarkreise beteiligten sich dort später auch an Arbeitskampfmaßnahmen. Wer weiß noch

·     vom Streik der Glasarbeiter in 1901, für den die Mitglieder in Wirges zusätzliche Solidaritätsbeiträge in die Streikkasse zahlten,

·     vom Streik in Wehbach, als 1903 die über 300 Mann zählende Belegschaft des Walzwerkes in den Ausstand trat,

·     vom Streik der Maurer, Handlanger und Zimmerleute im Jahre 1903 in Limburg (ausgerufen vom Verein christlicher Arbeiter). Am 12. Mai 1903 hieß es, daß dieser Streik erfolgreich beendet wurde.

·     von der Arbeitsniederlegung in Siegen, ausgerufen vom Verband christlicher Maurer, die Anfang 1906 begann und im September des gleichen Jahres noch andauerte,

·     vom Ausstand auf Grube „Glücksbrunnen“ bei Wingendorf (Nachbarbezirk), wegen dem am 15.1.1906 eine vom Gewerkverein christlicher Bergarbeiter einberufene Revierkonferenz im Gasthaus Brabeck in Betzdorf stattfand, zu der über 100 Delegierte des Siegerland-, Westerwald- und Dillkreises erschienen waren?

 

Die Gründung christlicher Gewerkschaften sollte im übrigen der Gefahr der Hinwendung der Arbeiter zu den sozialistischen Organisationen entgegenwirken; sie sahen sich von den Arbeitgebern aber genau so bekämpft und abgelehnt wie die Sozialisten. Vereinzelte gemeinsame Aktionen bahnten sich deshalb manchmal an.

 

Nach dem Ende der Illegalität 1890 beginnt für die Arbeiterbewegung eine Zeit des Wachstums und Aufstiegs. Erstmals wird 1890 der 1. Mai in allen Ländern der Welt, in denen Arbeiter sich in Organisationen zusammenfanden, gefeiert.

 

Fest steht, daß der Buchdruckerverband, der seinen Sitz in Hachenburg hatte, bereits 1883 bestand. Ein Protokollbuch, das diese gewerkschaftlichen Anfänge im Westerwald belegt, war in den 1970er-Jahren noch vorhanden (Horst Schneider, Fehl-Ritzhausen, kann sich als ehemaliger Schriftführer noch erinnern, dieses Protokollbuch seinem Nachfolger übergeben zu haben). Zweier Veteranen soll hier auch noch gedacht werden: Es sind Willy Theuerkorn und Bruno Rosner.

 

Wegen des Sozialistengesetzes hatte sich der Buchdruckerverein zeitweise in „Unterstützungsverein der Deutschen Buchdrucker“ umgewandelt bzw. umbenannt.

 

In den Buch- und Zeitungsdruckereien trat mit dem 1. Januar 1907 ein neuer Lohntarif in Kraft, der eine den gesteigerten Lebensverhältnissen entsprechende allgemeine Erhöhung der Gehilfenlöhne um 10 - 15 % vorsah.

 

Der Steinarbeiterverband war eine der festgefügtesten Organisationen. Gewerkschaftliches Bewußtsein wurde besonders mitgebracht von den Steinkippern, die von der Pfalz in den Oberwesterwald übersiedelten. So sollen Mitglieder des Zentralverbandes der Steinarbeiter Deutschlands bereits im Jahre 1907 (erste Zahlstelle) in Zinhain organisiert gewesen sein. Gewerkschaftliche Werbung wurde besonders von Adam Hensel, Hermann Meutsch und Jakob Remmy, Zinhain, sowie Jakob Jung, Marienberg, betrieben.

 

Die Steinkipper, die meist in jungen Jahren in den Oberwesterwald kamen, mußten beantragen, in ihre Wohngemeinde aufgenommen zu werden. So liegt für Hermann Meutsch noch heute der Originalantrag vor:

 

„Der Hermann Meutsch dahier hat Antrag gestellt, um als Bürger in die hiesige Gemeinde aufgenommen zu werden. Diesem Gesuch ist auf Grund des Statuts vom 29. November 1900 stattgegeben und hat derselbe ein Bürgergeld von Neun Mk. zur hiesigen Gemeindekasse zu entrichten.

Zinhain, den 12. Februar 1912

Neun Mark bar erhalten                    Der Gemeinderat

Zinhain, den 24. Febr. 1912              Leis Bürgstr.

Leis Rechner                                   Die Schöffen

                                                      gez. Müller Weber“

 

Die Steinkipper aus der Pfalz kamen zumeist als Junggesellen in den Oberwesterwald und heirateten ortsansässige Mädchen.

 

Eine Episode vom damals ebenfalls noch ledigen bekannten Steinkipper August Diehl berichtet die Westerwälder Zeitung“ am 19.2.1907:

„Ein trauriger Unfall ereignete sich am Donnerstag abend bei Herrn Gastwirt Neeb. Der daselbst im Logis befindliche jugendliche Steinkipper August Diehl, welcher sich bereits zur Ruhe begeben, ließ in dem Glauben, daß sein Zimmerkollege bald kommen würde, die Lampe brennen. Als derselbe kurz darauf eintraf und sich noch mit seinem wachenden Kollegen unterhielt, bemerkte Letzterer, daß das Petroleum in dem Behälter brannte und explodierte. Der bereits im Bett liegende August Diehl sprang sofort heraus, um das bereits um sich greifende Feuer zu löschen und trat hierbei derart in die Glasscherben, daß er sich einen Fuß vollständig zerschnitt. Der sofort herbeigerufene Herr Kreisarzt Dr. Schaus legte einen Notverband an und ist der bedauernswerte junge Mann am Freitag in die Klinik nach Gießen gebracht worden.“

 

Um die Jahrhundertwende (1900) hat der Deutsche Baugewerksbund seine Organisations- und Agitationsarbeit im hiesigen Raum mit großer Zähigkeit und Energie begonnen.

 

Die Anfänge der Entwicklung des Deutschen Metallarbeiterverbandes liegen in den Jahren 1912/13. Einige opferfreudige Gewerkschaftler leisteten damals die ersten Vorarbeiten, die jedoch infolge des 1. Weltkrieges jäh unterbrochen wurden.

 

Der Einheitsverband der Eisenbahner Deutschlands wurde im Jahre 1917 als freigewerkschaftliche Organisation gegründet.

 

Schon 1884 muß der Allgemeine Lehrerverein bestanden haben, denn in der Westerwälder Zeitung vom 18./19.8.1884 wird darauf hingewiesen, daß zum Besuch der Generalversammlung den Lehrern der Schulinspektion Westerburg der erforderliche Urlaub durch den Königl. Schulinspector (K. Schmidt, Pfarrer) erteilt wird. Am 19.9.1900 wird vermeldet, daß eine Zusammenkunft der Lehrer im Saale der Wwe. Backhaus in Hachenburg stattfand. In Hachenburg im Nassauer Hof tagte der Lehrerverein Hachenburg auch am 1.4.1905.

 

Am 30.4.1903 wurde zu Schönberg die Frühjahrsversammlung des Kath. Lehrervereins „An der Elbquelle“ abgehalten. Die beiden Lehrer Maas, Höhn und Deisel, Stockum, traten dem Verein bei. Mit Bericht vom 20.11.1905 wird eine weitere Versammlung im Schullokal Rotzenhahn (heute Rotenhain) erwähnt.

 

Ein Bericht über eine Gewerkschaftsveranstaltung erscheint in der Westerwälder Zeitung vom 18.8.1901: „Marienberg. Sonntag-Nachmittag hielt der Gewerkverein christl. Berg-, Eisen- und Metallarbeiter im Sieg-Heller-Industriebezirk bei dem Aussichtsthurm dahier eine Versammlung ab, zu welcher sich die Bergleute von hier und Umgegend sowie viele Andere, welche wohl aus Interesse oder auch an dem schönen Sonntag-Nachmittag einen Ausflug damit verbanden, eingefunden hatten. Der Verein, welcher seinen Sitz in Siegen hat, bezweckt die Hebung der moralischen und sozialen Lage der Arbeiter auf christlicher und gesetzlicher Grundlage, sowie Anbahnung und Erhaltung einer friedlichen Übereinkunft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern etc. Wie bei allen derartigen Versammlungen, so wurde auch hier in erster Linie unseres geliebten Landesfürsten gedacht und die Versammlung mit einem begeistert aufgenommenen dreifachen Hoch auf Se. Majestät Kaiser Wilhelm II. eröffnet. In verschiedenen Reden wurden Seitens des Vorsitzenden sowie der Vorstandsmitglieder nunmehr die Mittel und Wege zur Erreichung der Arbeiterzwecke in ausführlicher Weise geschildert, den Arbeitern insbesondere empfohlen, sich mit den gesetzlichen Bestimmungen vertraut zu machen, da das Gesetz den Arbeiter bei berechtigten Beschwerden schütze. Ferner liege im Interesse der Arbeiter die Bildung festerer Organisationen und der Beitritt zum Gewerkverein, dessen Beiträge monatlich auf 25 Pfg. festgesetzt seien…“

 

Am 1. Juni 1905 fand in Langenhahn eine gewerkschaftliche Werbeveranstaltung statt:

„Eine größere Anzahl Männer und Jünglinge von hier und den angrenzenden Orten hatten sich am Himmelfahrtstage bei Gastwirt Schmidt dahier eingefunden, zwecks Einführung des Volksvereins auch in unserer Kapellengemeinde. Kaplan Müller von Wirges erläuterte in sehr anregender und beredter Weise, was der Volksverein in sozialer, politischer und religiöser Beziehung erstrebe. Die Ausführungen des Redners fanden allgemeinen Beifall; darauf erklärten 62 Männer ihren Beitritt zum Verein… Der zweite Redner, Bergarbeiter Henrich aus dem Kreise Altenkirchen, wies in trefflicher Weise auf den großen Unterschied hin, welcher zwischen den freien Gewerkschaften und den christlichen Gewerkschaften bestehe. Am Schluß sprach Pater Maurus beiden Rednern den Dank der Versammlung aus.“

 

Langenhahn scheint im übrigen der Ort gewesen zu sein, an dem öfters Arbeiterversammlungen stattfanden.

Die Westerwälder Zeitung vom 20.4.1906 berichtet:

„Vom Westerwald, 17. April. In dem neuerbauten Saale des Gastwirts Schmidt zu Langenhahn fand am Ostermontag eine zahlreich besuchte Arbeiterversammlung statt. Ein Arbeitersekretär aus dem Kreise Altenkirchen sprach hier in eingehender Weise über die „soziale Frage“: Die Lohnbedingungen der Arbeiter seien zur Zeit weit besser als ehemals, und infolgedessen habe sich auch die Lebenshaltung im allgemeinen gehoben; es gelte jetzt, die wohlwollenden Parteien in den Parlamenten durch eine geschlossene christliche Arbeiterorganisation zu stützen und den wüsten Verhetzungen der Sozialdemokraten kräftig entgegenzutreten; der christliche Arbeiter suche sein Wohlergehen nur auf gesetzlichem Boden zu erringen und nicht durch Umsturz. Zu Pfingsten soll eine zweite Versammlung dahier abgehalten werden…“

 

Paul Kalinowski, ehemaliger christl. Gewerkschaftssekretär, kommt in einem Zeitungsbericht rückblickend zu der Feststellung, daß „die langsame Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung vor dem 1. Weltkrieg zum Teil daran lag, daß die Industrien, vor allem die Hartsteinindustrie, nicht vorhanden war. Andererseits sei auch Grund dafür, daß die in den Industrien beschäftigten Arbeiter durchweg Kleinbauern waren, die ihren Lebensunterhalt aus der Landwirtschaft nicht befriedigen konnten, und so in der immer mehr aufblühenden Industrie noch etwas zu ihrem Lebensunterhalt in den Betrieben hinzuverdienten. Dieses geschah in ziemlich langer Arbeitszeit. Es waren recht mühselige Anfänge, die Arbeitnehmer in Gewerkschaften zu organisieren; sie werden verzeichnet besonders in den Jahren 1908 bis zum Kriegsausbruch.“

 

Doch auch die Arbeitgeber schlossen sich zusammen. Ihre „edlen“ Ziele kann man nachstehendem Zeitungsbericht vom 14.6.1907 entnehmen:

 

„Von Nah und Fern. Vom Westerwald, 12. Juni. Zahlreiche Grubenbesitzer und Fabrikanten aus allen Industriezweigen von Coblenz-Land und dem Westerwald haben sich, wie uns von zuständiger Seite mitgeteilt wird, zu einem Verbande zusammengeschlossen. Nach den Satzungen hat der Verband die Aufgabe, friedliche und freundliche Beziehungen zwischen den Verbandsmitgliedern und ihren Arbeitern herbeizuführen und zu bewahren, sowie Zwistigkeiten mit den Arbeitnehmern auf gütlichem Wege zu regeln und unberechtigten Forderungen und unberechtigten Arbeitseinstellungen der Arbeiter entgegen zu treten. Um die Durchführung dieser Bestrebungen zu sichern, haben die Industriellen der benannten Gegend sich der Hauptstelle Deutscher Arbeitgeberverband in Berlin angeschlossen.“


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