8.2 Sozialversicherung
In 1884 beschloß der Kreistag des
Oberwesterwaldkreises, daß „gem. § 43 Abs. 2 u. 4 des Reichsgesetzes betr. die
Krankenversicherung der Arbeiter v. 15.6.1883“ für sämtliche Gewerbezweige und
Betriebsarten, auf welche sich das Reichsgesetz bezieht und der gesetzliche
Versicherungszwang erstreckt, eine gemeinsame Ortskrankenkasse mit dem Sitze in
Hachenburg errichtet wird, soweit nicht für die darin beschäftigten Personen
eine gleichgestellte besteht oder errichtet wird.
Einem Zeitungsbericht aus 1884
war zu entnehmen, daß im Bereich der Ortskrankenkasse, Hauptsitz Hachenburg und
Nebenstellen in Marienberg und Rennerod, in allen Erwerbszweigen und
Betriebsarten, die in ihre Zuständigkeit fielen, 356 versicherungspflichtige
Personen erfaßt waren.
Im
Oberwesterwaldkreis wurde der Tagelohn durch die Königliche Regierung in
Wiesbaden am 13.2.1884 für
·
erwachsene männliche Arbeiter auf 1,50 M.
·
erwachsene weibliche Arbeiter auf 0,80 M. (später 0,90 M.)
·
jugendliche männliche Arbeiter auf 0,70 M. (später 0,80 M.)
·
jugendliche weibliche Arbeiter auf 0,50 M.
festgesetzt;
hiernach waren Versicherungsbeiträge zu entrichten und Leistungen zu gewähren.
Die wöchentlichen
Kassenbeiträge betrugen 2% des Durchschnittstagelohnes, also
a) für erwachsene männliche Kassenmit- glieder
ausschließlich der Lehrlinge
|
18,00 Pfg.
|
b) für erwachsene weibliche Kassenmitglieder
|
10,80 Pfg.
|
c) für männliche Kassenmitglieder unter 16
Jahren und Lehrlinge
|
9,60 Pfg.
|
d) für weibl. Kassenmitglieder unter 16 J.
|
6,00 Pfg.
|
Zur damaligen Zeit war die viele
Jahrzehnte gültige Regelung für die Besetzung der Selbstverwaltungsorgane maßgebend,
daß ein Drittel der Vertreter von den Arbeitgebern und zwei Drittel von den
Arbeitnehmern zu stellen waren.
Dementsprechend sah auch der am
23.3.1884 in Hachenburg im Gartenlokal des Gastwirts Ermen gewählte Vorstand
aus:
1. Gerbereibesitzer
Lorenz Dewald, Hachenburg
2. Schlossermeister
Carl Hees, Hachenburg
3. Fabrikarbeiter
Anton Orthey, Altstadt
4. Färbergeselle
Bernhard Jaeger, Altstadt
5. Gerbergeselle
Heinrich Orthey, Altstadt
6. Fabrikarbeiter
Carl Müller, Hachenburg.
Zum Vorstandsvorsitzenden wurde
Lorenz Dewald, zu seinem Stellvertreter Heinrich Orthey und zum Schriftführer
Carl Müller gewählt.
Der Vorstandswahl vorausgegangen
waren am 16.11.1884 in Hachenburg Versammlungen, in denen folgende Vertreter
für die Generalversammlung der „Ortskrankenkasse des Oberwesterwaldkreises“
gewählt worden waren:
(A) Seitens der Kassenmitglieder:
1. Fabrikarbeiter
Carl Müller, Altstadt
2. Mühlenbauergeselle
Carl Klöckner, Hardtermühle
3. Fabrikarbeiter
Jacob Leyendecker, Altstadt
4. Gerbergeselle
Wilhelm Völkner, Hachenburg
5. Färbergeselle
Peter Jaeger, Altstadt
6. Färbergeselle
Peter Brenner V., Altstadt
7. Fabrikarbeiter
Jacob Schmidt, Altstadt
8. Fabrikarbeiter
Franz Brenner, Altstadt
9. Gerber
Philipp Ortey, Altstadt
10. Fabrikarbeiter
Christian Hardeck, Altstadt
11. Fabrikarbeiter
Wilhelm Brenner, Altstadt
12. Fabrikarbeiter
Christian Stahl, Altstadt
13. Gerbergeselle
Heinrich Ortey, Altstadt
14. Färbergeselle
Bernhardt Jaeger, Altstadt
15. Fabrikarbeiter
Anton Ortey, Altstadt
16. Maurergeselle
Wilhelm Frensch, Alpenrod
17. Gerbergeselle
Adolph Zimmermann, Rennerod
18. Bierbrauer
Wilhelm Meyer, Westerburg
19. Buchbindergeselle
Rudolph Scheidt, Marienberg
20. Schreinergeselle
Heinrich Weber, Merkelbach
21. Fabrikarbeiter
Wilhelm Brenner III., Altstadt
22. Mühlenbauergeselle
August Loos, Hardtermühle
23. Gerbergeselle
Jacob Röttig III., Altstadt
24. Schlossergeselle
Eduard Ditthardt, Marienberg
(B) Seitens der Arbeitgeber:
1. Gerbereibesitzer
Georg Wollweber, Rennerod
2. Bierbrauereibesitzer
Carl Ferger, Westerburg
3. Buchbinder
Hermann Schnabelius, Marienberg
4. Mühlenbauer
Anton Klöckner, Hardtermühle
5. Zimmermeister
Carl Künckler, Alpenrod
6. Fabrikbesitzer
Philipp Schneider, Hachenburg
7. Fabrikbesitzer
Otto Schneider, Hachenburg
8. Färbereibesitzer
Heinrich Lorsbach, Hachenburg
9. Gerbereibesitzer
Lorenz Dewald, Hachenburg
10. Schlossermeister
Carl Hees, Hachenburg
11. Sattlermeister
Franz Röttig, Hachenburg.
Etwas gebessert hatte sich die
Verdienstsituation schon bis zum Jahre 1900, wie sich aus einer Bekanntmachung
der LVA (Landesversicherungsanstalt Hessen-Nassau) entnehmen läßt:
·
Klasse I bis
1,16 Mk. 14 Pfg.
·
Klasse II von
mehr als 1,16 - 1,83 Mk. 20 Pfg.
·
Klasse III von
mehr als 1,83 - 2,83 Mk. 24 Pfg.
·
Klasse IV von
mehr als 2,83 - 3,83 Mk. 30 Pfg.
·
Klasse V über
3,83 Mk. 36 Pfg.
Für Lehrer und Erzieher mit einem
Jahresverdienst bis zu 1150 Mk. war der Wochenbeitrag auf 30 Pfg. (Lohnklasse
IV) und von mehr als 1150 - 2000 Mk. auf 36 Pfg. (Lohnklasse V) festgelegt.
Männliche in der Land- und
Forstwirtschaft beschäftigte Personen zahlten nach Klasse II 20 Pfg., weibliche
nach Klasse I 14 Pfg., alle in sonstiger Weise beschäftigten Personen (außer
Knappschaft)
a) Erwachsene
männlich Klasse II = 20
Pfg.
b) Erwachsene
weiblich Klasse II = 20
Pfg.
c) Lehrlinge
über 16 Jahre Klasse I
= 14 Pfg.
d) Lehrmädchen
über 16 Jahr Klasse I
= 14 Pfg.
Interessant dürften in diesem
Zusammenhang auch die Markt- und Ladenpreise zu Hachenburg vom Januar 1900
sein:
·
Rindfleisch per
kg 1,30 Mk.
· Eßbutter per
kg 2,-- Mk.
·
Eier 60
Stück 4,80 Mk.
Übrigens wurden im
Oberwesterwaldkreis vom 1.1.1891 - Ende Dezember 1899 156 Rentenanträge auf
Altersrente gestellt, von denen 81 bewilligt und 72 abgelehnt wurden; 3 hatten
sich durch den Tod der Antragsteller erledigt. An Invalidenrenten wurden 146
beantragt; 91 davon wurden bewilligt und 36 abgelehnt; 16 erledigten sich durch
den Tod der Antragsteller.
Ab 1.1.1908 wurde auf Grund des §
8 des Krankenversicherungsgesetzes der ortsübliche Tagelohn für den Oberwesterwaldkreis
und den Kreis Westerburg
·
für männl. Personen über 16 Jahre auf 2,60 Mk.
·
für weibl. Personen über 16 Jahre auf 1,80 Mk.
·
für männl. Personen unter 16 Jahre auf 1,60 Mk.
·
für weibl. Personen unter 16 Jahre auf 1,20 Mk.
festgesetzt.
Wegen der Sozialwahlen in
1921/1922 berichtet die Westerwälder Zeitung am 22.12.1921:
„Marienberg, 19. Dez. Auf Veranlassung des Deutschen Gewerkschaftsbundes
traten am Sonntag, den 18. Dez. 1921 die führenden Verbände im Hotel
Westerwälder Hof zusammen, um über die Aufstellung von Vertrauensmännern zur
Angestellten-Versicherung zu beraten. Die anwesenden Vertreter der Ortsgruppen
des Deutschen Werkmeisterbundes und des deutsch-nationalen
Handlungsgehilfen-Verbandes waren einstimmig dafür, daß eine gemeinsame Liste
unter dem Titel „Vorschlagsliste des Deutschen Gewerkschaftsbundes“ eingereicht
werden sollte. Der Deutsche Gewerkschaftsbund, der den Hauptausschußverbänden
angegliedert ist, lehnt die Bestrebungen, die daraufhin ausgehen, die
Angestellten-Versicherung mit der Invaliden-Versicherung zu verschmelzen, mit
Entrüstung ab. Jede Stimme, die am Wahltage für eine andere Liste abgegeben
wird, stärkt die Macht der angestelltenfeindlichen Verbände.“
Nicht vergessen werden soll zu
erwähnen, daß Heinrich Orthey, Altstadt (Gewerkschaft Leder) nach 1945 viele
Jahre Vorstandsvorsitzender der AOK für den Oberwesterwaldkreis war. Bei
Drucklegung dieser Chronik war Georg Wörsdörfer, Hahn am See,
Vorstandsvorsitzender der AOK Westerwald.
Bernhard Spöntjes war jahrelang
Mitglied der LVA-Vertreterversammlung Rheinland-Pfalz und, wie bereits in
seinem Lebenslauf erwähnt, viele Jahre, auch noch nach seiner Verrentung, als
Versichertenältester der BfA (Bundesversicherungsanstalt für Angestellte)
tätig. Derzeitige BfA-Versichertenälteste (Stand 25.9.2002), die auch den ehem.
Oberwesterwaldkreis mit betreuen, sind Günter Klar, Wilhelmstr. 126, 57518
Betzdorf (Mitglied ver.di) und Gabi Weber, Hans-Böckler-Str. 1, 56422 Wirges
(DGB-Vorsitzende, Kreis Koblenz).
Als ehrenamtlicher Sozialrichter
war Heinrich Zimmermann, Hachenburg (ÖTV) berufen. Nach seinem Tode wurden 1963
Bernhard Spöntjes bzw. Reinhard Garth (beide Marienberg) als Nachfolger
vorgeschlagen.
Lutz Neeb, Ringstr. 5, 56459
Kaden (IG BAU) ist gegenwärtig (Stand 25.9.2002) Versichertenältester der LVA
Rheinland-Pfalz. Sein Vorgänger war Wolfgang Rickes, Westerburg (ebenfalls IG
BAU).
Die Bergarbeiter gehörten früher
einer Vielzahl von Versicherungsträgern an. Wer kennt noch die Namen
Lahn-Knappschafts-Verein zu Weilburg, Gießener Knappschaft zu Weilburg, Heller
Knappschafts-Verein, Sitz Herdorf, Bezirks-Knappschafts-Krankenkasse
Oberwesterwald zu Großseifen und Allgemeiner Knappschafts-Verein Nassau zu
Diez? Nach 1945 hatten wir es nur noch mit der Hessischen Knappschaft zu
Weilburg und der Ruhrknappschaft, Geschäftsstelle in Siegen, zu tun.
Rudolf Haas, Marienberg, war bis
1975 als Knappschaftsältester für den Sprengel Marienberg eingesetzt, und zwar
von der Hessischen Knappschaft in Weilburg. Die im Siegerland tätigen
Bergarbeiter gehörten der Ruhrknappschaft Bochum, Geschäftsstelle Siegen, an.
Knappschaftsälteste für den
Sprengel Höhn waren bzw. sind:
·
1945 - 1948 : Wilhelm Zimmermann II. 1948
·
1948 - 1965 : Willi Held (Oellingen)
·
1965 - 1977 : Arnold Zimmermann (Höhn)
·
1977 - 1983 : Josef Bayer (Neuhochstein)
·
1983 - 1987 : Walter Zimmermann (Höhn)
·
1987 - heute: Clemens Helsper (Höhn); Stand 30.9.2002
Knappschaftsälteste für
Angestellte waren bzw. sind:
·
1945 - 1954 : Theobald Schell (Zehnhausen b.R.)
·
1954 - 1966 : Ernst Müller (Hahn b. Mbg.)
·
1966 - 1986 : Albert Wahler (Höhn)
·
1987 - 1997 : Vinzenz Helsper (Höhn)
·
1997 - heute: Wolfgang Reinhardt (Höhn); Stand 30.9.2002
Für die Bergleute waren zeitweise
eigene Ärzte verpflichtet. So heißt es in einer Zeitungsnotiz, daß der bekannte
Verbandsarzt Dr. med. Engelhardt ab 1.11.1901 auch Knappschaftsarzt des
Heller-Knappschaftsvereins, Kursprengel Marienberg, wurde.
Die Basalt AG Linz hatte eine
eigene Betriebskrankenkasse mit Nebenstelle in Marienberg; im Vorstand war als
Versichertenvertreter Josef Benner, Büdingen.
LESEN SIE WEITER
|