6.1.2 Entnazifizierung
In der „Gewerkschaftseinheit“ Nr.
4 vom 27. Oktober 1945 wurde der nachstehende Bericht veröffentlicht:
„Heraus mit den Nazis auf der Wirtschaft!
Die Wirtschaft ist noch mit zahlreichen nationalsozialistischen
Elementen durchsetzt, so daß vor allem auch seitens der Arbeitnehmerschaft noch
nicht das Vertrauen in die Wirtschaftskreise gesetzt wird, das zum Wiederaufbau
unbedingt nötig ist.
Es ist zuzugeben, daß in der Wirtschaft eine gewisse Unruhe herrscht,
da noch keine genauen Richtlinien darüber vorliegen, wer sich nunmehr endgültig
und maßgeblich in den leitenden Stellungen betätigen kann, darf und soll.
Die Überprüfung der Wirtschaft und ihre Säuberung von
Nationalsozialisten muß nunmehr in aller Dringlichkeit gefordert werden, damit
die Gesamtwirtschaft wieder zur Ruhe kommt und nach geordneten Grundsätzen
arbeiten kann.
Wir wissen, daß es die Wirtschaftskreise verstehen, durch
Verflechtungen und Verschleierungen sich zu tarnen. Wir haben anderseits aber
auch Mittel und Wege, diese Tarnung zu entschleiern, und wir würden es für eine
Hinderung der Säuberung halten, wenn sich die Regierungsstellen dieser Mittel
in Zukunft nicht bedienen würden. Wir denken dabei nur an Revisions- und Treuhandstellen,
die die geeigneten Fachkräfte auf diesem Gebiet stellen können. Es gibt
durchaus schon genügend gesetzliche Grundlagen, um eine fachmännische
Überprüfung vorzunehmen.
Die Säuberung der Betriebe muß bereits bei den zu erteilenden
Genehmigungen anläßlich der Wiedereröffnung oder Neueröffnung eines Geschäftes
erfolgen; sie muß aber auch die bereits eröffneten Betriebe erfassen.
Es geht nicht an, daß Geschäfte oder Betriebe die Geschäftserlaubnis
erhalten oder behalten, deren Inhaber Parteigenossen sind, die dank ihrer guten
Beziehungen zu den Nazis während des ganzen Krieges bereits ihre Geschäfte
machten und deshalb u.a. auch u.k. gestellt waren, währenddem die
Nichtparteigenossen, denen diese Beziehungen fehlten, zur Wehrmacht einberufen
wurden und nicht nur ihre Existenz während des Krieges verloren, sondern auch
jetzt wieder, wenn sie aus Kriegsgefangenschaft zurückkehren, durch die
Nichtgenehmigung zur Geschäftseröffnung die Benachteiligten sind. Wir fordern
hier eine ganz energische Änderung der Politik der dafür augenblicklich zuständigen
Herrn Landräte und Regierungsstellen. Es dürfte doch wohl selbstverständlich
sein, daß zunächst die Antifaschisten und Nichtparteigenossen
Geschäftsgenehmigung erhalten und den Parteigenossen in jeder Beziehung vorgehen.
Die bereits bestehenden Betriebe sind einer Pflichtrevision zu
unterziehen, die folgende Gesichtspunkte zu beachten hat:
Jeder Betrieb hat einen Fragebogen auszufüllen, aus dem die
finanziellen Verflechtungen zu ersehen sind, insbesondere ist hierbei eine
Erklärung darüber abzugeben, inwieweit Vermögen von Nationalsozialisten in
irgendeiner Form mitarbeitet (Gesellschaftsanteile, stiller Gesellschafter,
Darlehen, Kredite usw.; Vorstand, Aufsichtsrat, Geschäftsführer, Prokuristen,
Handlungsbevollmächtigte; Ehefrauen, Kinder, Verwandte usw.).
Nach Abgabe der Fragebogen erfolgt eine Revision durch Sachverständige
(vereidigte Buchprüfer, Wirtschaftstreuhänder, Wirtschaftsprüfer) durch die die
angegebenen Tatbestände überprüft werden.
Nach der Revision werden die Betriebe dann in „unbedenkliche Betriebe“
und in „bedenkliche Betriebe der Stufe I und II“ eingeteilt.
Unbedenkliche Betriebe sind solche Betriebe, deren Eigentümer oder
Geschäftsführer keine Nationalsozialisten und Nichtmitglieder der NSDAP sind.
Sie haben keine weiteren Revisionen zu erwarten.
Bedenkliche Betriebe der Stufe I sind solche Betriebe, deren Eigentümer
oder Geschäftsführer Mitglieder der NSDAP seit 1933 waren, sich aber nicht
aktiv oder in verhetzender oder in gehässiger Form als Nationalsozialisten
betätigt haben, und dem Nationalsozialismus keine finanzielle Unterstützung
gewährten. Diese Betriebe unterliegen bis auf weiteres einer dauernden Überwachung.
Bedenkliche Betriebe der Stufe II sind solche Betriebe, deren
Eigentümer oder Geschäftsführer aktive Mitglieder der NSDAP waren und deren weiterer
Verbleib in leitenden Stellungen der Wirtschaft untragbar ist. Für diese
Betriebe müssen Treuhänder eingesetzt werden, die an der Seite von aus
Arbeitern und Technikern gebildeten Verwaltungsräten stehen.
Wir fordern diese Säuberung der Wirtschaft aufgrund der Anordnung der
Militärregierung, wonach den deutschen Dienststellen die Auflage erteilt wird,
das gesamte öffentliche Leben einschließlich des Wirtschaftslebens zu entnazifizieren,
d.h. von allen maßgeblichen Stellen, auch in der Privatwirtschaft, diejenigen
Personen zu entfernen, die als bekannte Nationalsozialisten oder deren
Förderer, gleichgültig also ob Parteigenossen oder nicht, direkt oder indirekt
Schuld tragen an der Vorbereitung und Unterstützung dieses Krieges und seinen
Auswirkungen.
Parteigenossen gleichzusetzen sind Berufssoldaten (Offiziere und
Mannschaften), da sie kraft Gesetzes nicht Parteimitglieder werden konnten, in
ihrer Gesinnung aber Reaktionäre und Militaristen sind, deren Ausrottung und
Beseitigung aus dem öffentlichen deutschen Leben ebenso notwendig, wenn nicht
noch notwendiger ist, als die harmloseren Nationalsozialisten. Wir betrachten
jeden als Saboteur, der diese Herrschaften, die die Vertreter des preußischen
Militarismus und ostdeutschen Junkertums sind und jederzeit die Kriegstreiber
waren, in irgend einer Form unterstützt.
Als aktive Nationalsozialisten und daher als untragbar in der
Wirtschaft müssen angesehen werden:
1. Wer führend oder in hervorragender Weise in der Partei tätig war.
2. Wer sich in seiner Parteitätigkeit eines in hohem Maße verhetzenden
und gehässigen Verhaltens gegen seine Mitbürger schuldig gemacht hat.
3. Wer durch Mißbrauch seiner Stellung oder seines Einflusses in der
Partei die Rechte seiner Mitbürger verletzt hat.
4. Wer die NSDAP oder eine ihrer Gliederungen durch hohe
Geldzuwendungen unterstützt hat.
Die Auslegung dieser Gesichtspunkte wird nicht schematisch, sondern von
Fall zu Fall durch einen zu bildenden Ausschuß vorgenommen werden müssen.
Grundlage für den Begriff „führend oder in hervorragender Weise in der Partei
tätig“ ist u.a. die „Anweisung der Militärregierung an finanzielle Unternehmen
und Regierungsfinanzbehörden Nr. 3“.
Die auch vor allem bei den Industrie- und Handelskammern zu bildenden
Ausschüsse haben nicht nur aus Vertretern der Wirtschaft, sondern auch aus
Vertretern der Arbeitnehmerschaft und der Revisions- und Treuhandstellen zu bestehen,
und alle die Nationalsozialisten zu entfernen, gleichgültig welchen Rang oder
welche Tätigkeit sie in der Partei ausübten, die für die Arbeitnehmerschaft
ebenso untragbar sind wie am Wiederaufbau unserer gesamten deutschen Wirtschaft.
Wir können es aber auch nicht dulden, daß diese Säuberung durch
Umgehung von Gesetzen oder durch finanzielle Verschleierungen sabotiert wird.
Wir fordern daher eine weitgehende Offenlegung nicht nur der
Kapitalverflechtungen, sondern auch des Rechnungswesens und bleiben nicht an
den mangelhaften Vorschriften des Aktiengesetzes (§§ 131, 132, 133) hängen.“
Für viele Bürger ging die
Entnazifizierung viel zu langsam voran, obwohl in den öffentlichen Betrieben
und Verwaltungen aktive nationalsozialistische Beamte aus dem Dienst entfernt
und andere mit Gehaltskürzungen bestraft worden waren. Viele Verfahren wurden
abgewickelt durch den Landeskommissar für die politische Säuberung in
Rheinland-Pfalz, Koblenz. Eine exakte Übersicht der Spruchkammerentscheidungen
ist im GVOBl (Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Rheinland-Pfalz),
Jahrgänge 1947/48, enthalten.
Zu Beginn der Entnazifizierung
waren bei allen Dienststellen „Ausschüsse zur Prüfung der politischen Haltung
der Beamten“ schon im Jahre 1945 gebildet worden. Beim Postamt Marienberg
gehörten diesem Ausschuß an der Oberpostsekretär Hugo Stalp, die
Postassistentin Emma Millé und der Postfacharbeiter Albert Steup; sie hatten
bereits am 19.9.1945 beschlossen, daß 2 Beamte, die vor dem 1.2.1933 der NSDAP
beigetreten waren, entlassen werden mußten und 2 Ruhestandsbeamten die Versorgungsbezüge
gesperrt wurden, weil sie gleichfalls vor dem Stichtag Parteimitglied waren.
Albert Steup (Marienberg) war es
auch, der bereits im Oktober 1945 die Postämter Hachenburg, Westerburg und
Rennerod aufsuchte und Mitglieder für die Einheitsgewerkschaft, Gruppe „Post
und Telegraphie“, warb. Es ist bekannt, daß ihn in Rennerod der damalige
Postmeister aus den Diensträumen verwies, er durch die Hintertür wieder
hereinkam und seine Werbetätigkeit erfolgreich fortsetzte.
Mitte des Jahres 1947 war die
Entnazifizierung überwiegend abgeschlossen. In Einzelfällen wandte sich die
Kreisgeschäftsstelle des AGB aber auch noch im Jahre 1948 an den „Vorsitzenden
des Untersuchungsausschusses für die politische Säuberung, Amtsgerichtsrat Dr.
Hünebeck, in Hachenburg oder auch an den Öffentlichen Kläger der Spruchkammer
in Hachenburg. Später, in Zeiten der Bundesrepublik, wurde das Gesetz zur
Regelung der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen veröffentlicht,
mit dessen Auswirkungen sich aber nicht die DGB-Kreisgeschäftsstelle zu
befassen hatte, sondern die für Beamtenfragen zuständigen Gewerkschaften im
DGB.
Die franz. Militärregierung
verlangte regelmäßige Berichterstattung darüber, wie viele ehemalige Mitglieder
der NSDAP sich in den Gewerkschaften organisiert hatten. Nachstehend folgen aus
dem Bericht für die Zeit vom 1. - 31.5.1949 die gemeldeten Zahlen:
Gewerkschaft
|
Mitglieder
|
davon ehem. NSDAP
|
Bau
|
170
|
19
|
Bergbau
|
667
|
55
|
Eisenbahn
|
21
|
6
|
Graphisches Gewerbe
|
49
|
13
|
Handel, Banken, Versicherungen
|
34
|
16
|
Holz
|
308
|
24
|
Land- u. Forstwirtschaft
|
123
|
17
|
Metall
|
368
|
34
|
Nahrung u. Genuß
|
90
|
23
|
Öffentl. Betriebe,
Transport
|
262
|
46
|
Post u. Telegrafie
|
45
|
9
|
Schuhe, Leder
|
281
|
39
|
Steine u. Erden
|
608
|
78
|
Textil
|
80
|
2
|
Insgesamt:
|
3106
|
381
|
Für den gleichen Zeitraum wurden
auch gemeldet:
3 Kundgebungen zum 1.Mai, 29
Betriebsbesprechungen, 4 Arbeitsgerichtstermine und 1 Termin vor dem Landesarbeitsgericht.
Ortszahlstellen bestanden 62, Betriebszahlstellen 72; insgesamt also 134. Die
Gewerkschaftsbeiträge wurden zunächst durch die Kreisgeschäftsstelle
eingezogen, bis sich die Landesgewerkschaften gebildet hatten.
Im Februar 1948 hatte die obige
Statistik noch wie folgt ausgesehen:
Gewerkschaft
|
Mitglieder
|
davon ehem. NSDAP
|
Bau
|
219
|
18
|
Bergbau
|
726
|
62
|
Eisenbahn
|
23
|
5
|
Graphisches Gewerbe
|
52
|
12
|
Handel, Banken,
Versicherungen
|
42
|
15
|
Holz
|
343
|
29
|
Land- u. Forstwirtschaft
|
145
|
16
|
Metall
|
427
|
37
|
Nahrung u. Genuß
|
79
|
17
|
Öffentl. Betriebe,
Transport
|
133
|
32
|
Post u. Telegrafie
|
36
|
11
|
Schuhe, Leder
|
307
|
42
|
Steine u. Erden
|
439
|
53
|
Textil
|
74
|
---
|
Insgesamt:
|
3062
|
353
|
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|