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CHRONIK
von Otto Kleinschmidt
Gewerkschaften im Oberwesterwald

 

 
Industrien, Dienstleistungsbetriebe & Gewerkschaften im Oberwesterwald
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KAPITEL 4.

Gewerkschaften in der Weimarer Republik

 

Nach der November-Revolution (1918) konnten freie und christliche Gewerkschaften sich ungehindert entfalten. Adam Hensel, Zinhain, stand an der Spitze der Bewegung. Er war auch Vorsitzender des Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrates im hohen Westerwald.

 

So erschien am 15.11.1918 in der Westerwälder Zeitung unter „Amtliches“ folgender Aufruf:

„Der unterzeichnete Arbeiter- und Bauernrat richtet hiermit an die Bevölkerung des Oberwesterwaldkreises folgenden Aufruf: Das Landratsamt in Marienberg hat sich dem Arbeiter- und Bauernrat in seiner Tätigkeit unterstellt. Der in der Volksversammlung vom 14.11.18 gefaßte Beschluß auf Absetzung des Landrats und des Kreisausschusses konnte nicht durchgeführt werden, weil nach einem inzwischen von der preußischen Landesregierung an die preußischen Beamten ergangenen Erlaß sämtliche preußischen Behörden und Beamten aufgefordert werden, ihre amtliche Tätigkeit fortzusetzen. Dieser Erlaß der preußischen Landesregierung ist im Auftrage des Vollzugsrats des Arbeiter- und Soldatenrats erfolgt. Wir richten nun an die landwirtschaftliche Bevölkerung des Kreises die dringende Bitte, in der Ablieferung der Lebensmittel das Menschenmöglichste zu leisten, da bei einem Zusammenbruch unserer Lebensmittelversorgung unsere Notlage zu einer völligen Vernichtung führen muß und damit auch die Freiheit des deutschen Volkes zu Grunde gerichtet wird. An die Eltern richten wir die herzliche Bitte, der durch die Kriegszeit gelockerten Erziehung der Jugend ihre sorgfältigste Aufmerksamkeit zuzuwenden; es muß unter allen Umständen vermieden werden, daß jugendliche Personen auf offener Straße Menschen belästigen; nicht durch Zuchtlosigkeit kommen wir vorwärts, sondern durch strengste Selbstzucht und Besonnenheit; insbesondere verweisen wir darauf, daß den Personen der öffentlichen Verwaltungen weder durch Worte noch durch Taten zu nahe getreten wird.“

 

Am gleichen Tag erschien eine amtliche Bekanntmachung des Arbeiter- und Bauernrates Marienberg:

„Wir fordern die Bevölkerung auf, sofort in jeder Landgemeinde je nach der Größe derselben durch geheime, gleiche und direkte Wahl aller Männer und Frauen über 20 Jahre 3 - 5 Vertrauensmänner zu wählen, die dazu berufen sind, die Lebensmittelverteilung zu überwachen und bei der Lebensmittelerfassung tatkräftig mitzuwirken, insonderheit dem frevelhaften gewerbsmäßigen Schleichhandel entgegenzutreten. Auch bei den Vieh- und Milchkommissionen oder bei anderen Kommissionen haben diese Vertrauensmänner mitzuwirken. Die Vertrauensmänner betrachten dieses Amt als Ehrensache und treten mit dem Tage ihrer Wahl anstelle der bisherigen Wirtschaftsausschüsse, die als aufgelöst zu betrachten sind. Diese Bekanntmachung ist auf ortsübliche Weise zu veröffentlichen. Die vollzogenen Wahlen sind bis zum 25. November d.Js. dem Landratsamt mitzuteilen.“

 

Die Preußische Regierung wies mit einem „Telegraphischen Erlaß“ vom 14.11.1918, vom Landrat Ulrici am 15.11.1918 veröffentlicht, darauf hin, daß die Vertreter des Arbeiter- und Soldatenrates bzw. Bauernrates als Kontrollinstanz den einzelnen Verwaltungsbehörden, insbesondere also den Ober­präsidenten, den Regierungen und Landratsämtern zur Seite zu treten haben und bei allen wichtigen Verhandlungen hinzuzuziehen sind.

 

In der Westerwälder Zeitung vom 26.11.1918 heißt es auszugsweise:

„Marienberg, 26. Nov. Auf Sonntag mittag hatte der Arbeiter- und Bauernrat eingeladen zu einer Versammlung, in der vor allem wichtige Organisationsfragen besprochen werden sollten. Nicht nur die Umgebung Marienbergs, sondern auch der untere Kreisteil wies eine zahlreiche Beteiligung auf, sodaß der Saal zur Post dicht besetzt war. Nach Eröffnung durch Herrn Adam Hensel… In klaren Ausführungen gab Herr Pfarrer Schütz nochmals einen Überblick über die Ereignisse der jüngsten Zeit und ging dann auf diejenigen Fragen über, die unseren Kreis betreffen. Zu Beginn seiner Tätigkeit habe der Arbeiter- und Bauernrat aufgefordert, in den einzelnen Gemeinden 3 - 5 Vertrauensmänner zu wählen, die an Stelle der bisherigen Wirtschaftsausschüsse treten sollten… In überzeugender Weise legte Redner die Verwicklungen auseinander, die aus der Gründung von Arbeiter- und Bauernräten in jeder Gemeinde entstehen würden, und gab schließlich der Versammlung die Entscheidung über die beiden Möglichkeiten, ob Vertrauensmänner oder Bauernräte. Einstimmig fiel die Wahl auf erstere; ferner fand der Vorschlag, die bereits in einzelnen Gemeinden auf richtiger Grundlage gewählten Bauernräte als Vertrauensmänner zu betrachten, allgemeine Zustimmung…“

 

Ergänzend dazu wird berichtet:

„-(Wahl der Vertrauensmänner.) Sonntag und Montag abend fand auf dem Bürgermeisteramt die Wahl der 5 Vertrauensmänner für Marienberg statt. Es erhielten Wilhelm Sahm I. 306, Ernst Häbel 304, Karl Flick 282, Eduard Hain 276, Otto Staubesand 205 und Friedrich Hörster 104 Stimmen. Die ersten 5 Kandidaten sind somit gewählt. 59 Stimmen waren zersplittert auf 16 Kandidaten, darunter auch eine Kandidatin.“

 

Nicht nur heutzutage, sondern auch bereits nach dem 1. Weltkrieg, ging wegen „unsinniger“ Lohnforderungen der Arbeitnehmerschaft das übliche „Gezeter“ von Arbeitgeber- und Regierungsseite los. In der Westerwälder Zeitung vom 11.2.1919 heißt es u.a.:

„…Waren angesichts der langen Dauer des Krieges und der damit notwendig verbundenen Teuerung aller Lebensverhältnisse die Löhne der Arbeiterschaft von Jahr zu Jahr nicht ohne Grund erheblich gestiegen, so haben sie in neuester Zeit auf Drängen der Arbeiter vielerorts eine Höhe erreicht, deren weitere Steigerungen nicht mehr mit der herrschenden Teuerung gerechtfertigt werden können. Zu solchen Löhnen kann nutzbringende Arbeit nicht mehr geleistet werden, vielmehr muß das gesamte Wirtschaftsleben zum Erliegen kommen. Dadurch aber würde die Not des schwergeprüften Vaterlandes ins Grenzenlose wachsen und ein Elend entstehen, unter dem die Arbeiterschaft selbst am meisten leiden würde. Die preußische Regierung, des Ernstes der Lage sich voll bewußt, hat sich daher veranlaßt gesehen, folgende Verordnung zu erlassen:

Die Lohnbewegung unter der Arbeiterschaft hat in letzter Zeit nach Art und Umfang eine Entwicklung genommen, die die schwersten Befürchtungen erwecken und weite Gebiete der Gütererzeugung zum Erliegen bringen muß. Die beklagenswerte, aber unvermeidliche Folge davon, kann nur Arbeitslosigkeit, Hunger und Elend sein. Die Betriebe des Staates unterliegen in dieser Beziehung den gleichen wirtschaftlichen Bedingungen wie die privaten. Weder Bergbau noch Eisenbahn noch alle übrigen Staatsbetriebe können es längere Zeit ertragen, daß ihre Ausgaben die Einnahmen übersteigen. Dieser Fall ist aber in bedrohlichem Maße eingetreten. Es wird deshalb zur gebieterischen Pflicht der Staatsregierung, dem Anwachsen der Lohnausgaben über das Maß des Erträglichen hinaus mit Festigkeit entgegenzutreten. Die Herren Fachminister werden daher ersucht, an sie herantretende Lohnforderungen zwar in voller Würdigung der jetzigen Bedürfnisse der Arbeiterschaft, aber auch sorgfältig daraufhin zu prüfen, ob nicht durch die Bewilligung den in Frage kommenden Betrieben Lasten auferlegt werden, die sie nicht ertragen können, ohne zu unterliegen…“

 

Es gab damals auch „Vorläufige Bestimmungen über die Erhebung der Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn“. Hierfür mußten vom Arbeitgeber Steuermarken, die bei den Finanzämtern und Postanstalten zum Verkauf gestellt wurden, in eine persönliche Steuerkarte geklebt werden.

 

Über die Entwicklung der Gewerkschaften nach der Revolution und Inflation schreibt der vorhin bereits zitierte ehemalige christliche Gewerkschaftssekretär Paul Kalinowski in einer Sonderausgabe der Westerwälder Zeitung vom 27.10.1928:

„Nach der Revolution, und ganz besonders während der Inflation, blühten die Gewerkschaften sehr stark. Eine gewisse Zeitspanne war die gesamte Arbeiterschaft des Westerwaldes restlos organisiert. Wie überall in Deutschland, gingen viele den Gewerkschaften mit Beginn der Währungs-Stabilisierung verloren. Die Fluktuation in den Gewerkschaften ist auch im Laufe der letzten Jahre noch nicht behoben. Jedoch ist seit mehr wie 3 Jahren von einem Rückgang in der Bewegung nicht mehr zu sprechen; im Gegenteil ist ein stetiger, dauernder Aufstieg zu verzeichnen. Von den heute etwa in der Hartstein-Industrie beschäftigten 4500 Arbeitern sind immerhin reichlich 2/3 aller Arbeitnehmer organisiert. Der recht unterschiedliche Beschäftigungsgrad im Laufe der letzten Jahre gerade in dieser hauptsächlichsten Industrie des Westerwaldes bringt leider noch Schwankungen in den Mitgliederzahlen der Gewerkschaftsbewegung. Auch bei den übrigen auf dem Westerwalde vorkommenden Berufen Bauhandwerker, Holzarbeiter, Lederarbeiter, Ziegeleien, Kalk und die ebenfalls stark entwickelte Ton- und Glasindustrie, besonders in der Tonindustrie können die Gewerkschaften auf eine gute Entwicklung zurückblicken. Zur Zeit arbeiten von den in den Betrieben und Industrien beschäftigten Arbeitnehmern etwa 95% unter Tarifverträgen, die die Lohn- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer regeln und bei fast allen Tarifen auch Urlaub vorsehen. Vor dem Kriege war von derartigen Verträgen nicht die Rede. Die innere Organisation der Gewerkschaften, das Verwaltungsleben insbesondere, ist ebenfalls sehr stark entwickelt. Die Gewerkschaften gewähren ihren Mitgliedern bei Streikaussperrungen ausreichende Unterstützungen; auch bei Krankheit und Arbeitslosigkeit und bei Sterbefällen werden Unterstützungen gewährt. Der christliche Steinarbeiterverband hat außerdem eine Alters- und Invalidenhilfe geschaffen, die eine Versorgung im Falle der Invalidität und des Alters bieten; außerdem werden bei sämtlichen Unglücksfällen, die sich leider bei der immer mehr sich modernisierenden Wirtschaft auch auf dem Westerwalde stark häufen, den Hinterbliebenen namhafte Unterstützungen in Höhe von 300-1200 RM gewährt. Zur Zeit befinden sich auf dem Westerwalde drei Bezirkssekretariate mit angestellten Beamten der christlichen Gewerkschaften und eines von seiten der freien Gewerkschaften. Die Gewerkschaften des Westerwaldes haben recht starken Anteil genommen bei der Besetzung der Stellen der neuen sozialen Einrichtungen. Es seien genannt: die Spruchkammern der Arbeitsämter und Landesarbeitsämter, die Arbeitsgerichtsbehörden, Schlichtungsausschüsse u.a.m. Auch in die Kreiskörperschaften sind überall Vertreter entsandt, um dort für das Wohl und Wehe der arbeitenden Bevölkerung des Kreises einzutreten. Da die Gewerkschaften heute staatlich anerkannte Organisationen sind, die viel Segensreiches für die Arbeiterschaft gewirkt, so stellen sie heute einen Faktor im Wirtschaftsleben, auch auf dem Westerwalde, dar, der nicht mehr zu entbehren ist.“

 

Thomas A. Bartolosch behandelt in seinem Buch „Basalt im Westerwald…“ auch die Arbeiter-Organisationen. Er stellt u.a. zutreffend fest:

„Von den drei großen Gewerkschaften waren die „Christli­chen Gewerkschaften“ am stärksten vertreten. Dann folgten die sogenannten „freien Gewerkschaften“ (sozialdemo­kra­tisch ausgerichtet), während der wirtschaftsliberale „Gewerk­verein der Fabrik- und Handarbeiter“ (Hirsch-Duncker) nur wenige Mitglieder zählte. Die Verteilung der Westerwälder Basaltarbeiter auf die verschiedenen Gewerkschaften zeigt folgende Übersicht:

 

- Berufsverband Deutscher Steinarbeiter              47 %

  (Christliche Gewerkschaften)

- Zentralverband der Steinarbeiter Deutschlands   30 %

  (Freie Gewerkschaften)

- Gewerkverein der Fabrik und Handarbeiter           1 %

  (Hirsch-Duncker)

- Nichtorganisiert                                               22 %.

 

Der Einfluß der Gewerkschaften in den einzelnen Regionen des Westerwaldes war dabei recht unterschiedlich… während der Anteil der Christlichen Gewerkschaften in der Gegend von Westerburg auf 75 % sank und am Stöffel sogar nur 50 % betrug. Die sogenannten „freien Gewerkschaften“ waren hauptsächlich… bei Marienberg-Zinhain vertreten (75 %). Der verschieden starke Einfluß der Gewerkschaften in den einzelnen Bezirken des Westerwaldes ist geschichtlich zu erklären… Die Gegenden, wo die Christlichen Gewerkschaften vorherrschen, waren früher Teile der Erzstifte Kurköln bzw. Kurtrier und haben vorwiegend katholische Bevölkerung, während in ursprünglich zu den evangelischen Fürstentümern Wied und Nassau gehörigen Teilen des Westerwaldes die „Freien Gewerkschaften“ überwiegen.“

Geographisch und konfessionell gesehen war grobe Trennungslinie die Nister.

 

Zu den aktiven Gewerkschaftlern vor 1933 zählen auch Ewald Kempf, Langenbach b. Mbg. (christl. Gewerkschaften) u. August Brell, Zinhain (freie Gewerkschaften) sowie der Betriebsratsvorsitzende der Grube Alexandria, Josef Höhn. Nicht vergessen werden sollen Hermann Meutsch, Zinhain (Hamann, Zinhain) und Hermann Kempf, Marienberg (Weidling, Langenbach b. Mbg.). Robert Müller (Marienberg), war auf Grube „Alexandria“ aktiv tätig, nachdem er bereits als 15jähriger in den Erzgruben des Siegerlandes gearbeitet hatte. Von Ernst Heun (Marienberg) ist durch die noch vorhandene Arbeitsordnung der Westerwaldbrüche überliefert, daß er 1922 als Betriebsratsvorsitzender amtierte.

 

Eine lustige Episode aus Zeiten der Weimarer Republik wurde von alten Gewerkschaftlern oft erzählt: August Diehl, Marienberg, wurde als Delegierter zu einer Konferenz des Zentralverbandes der Steinarbeiter Deutschlands entsandt. Als er zurückkam, fragten ihn seine Kollegen, was es auf dieser Tagung gegeben habe. Seine Antwort im Pfälzer Dialekt: „Do hobbe se schee gesproche (da haben sie schön gesprochen)“. Selbstverständlich hat er anschließend eingehend über Verlauf und Beschlüsse der Konferenz berichtet.

 

Während der Weimarer Republik bestand in Marienberg ein Gewerkschaftskartell und ein Ortsausschuß. 1921 wurde dort auch ein Gewerkschaftssekretariat eingerichtet, 1922 das erwähnte Ortskartell ins Leben gerufen. Ihm gehörten mehrere der unten aufgezählten freien Gewerkschaften an, und zwar:

 

·     Deutscher Baugewerksbund

·     Deutscher Metallarbeiterverband (Die während des 1. Weltkrieges unterbrochenen Gründungsvorbereitungen wurden im Dezember 1918 fortgesetzt und abgeschlossen. Die junge Organisation entfaltete sich in prächtiger Weise)

·     Einheitsverband der Eisenbahner Deutschlands (Entwick­lung und Zeitverhältnisse verliehen dieser Gewerkschaft im Jahre 1925 ihren endgültigen Namen. Erwähnenswert war die Ortsgruppe Hachenburg. Die sozialen Leistungen waren mustergültig, z.B. Kranken-, Arbeitslosen-, Notfall- und Todesfallunterstützung)

·     Verband der Deutschen Buchdrucker (1928 hatten die Gewerkschaftsmitglieder der heutigen Druckerei Hachenburg den Ortsverein Hachenburg-Marienberg gegründet. Bis dahin hatten sie zum Ortsverein Limburg gehört. Durch das Wachsen der Betriebe und den damit verbundenen Zuwachs von Verbandskollegen war der Wunsch zur Gründung eines eigenen Ortsvereins lebendig geworden. Der Ortsverein Hachenburg-Marienberg gehörte damals zum Bezirksverein Wiesbaden des Gaues Mittelrhein. Den Vorsitz des neugegründeten Ortsvereins übernahm der im Jahre 1912 aus Westfalen zugewanderte Kollege Ewald Fischer, und zwar bis Ende der 1950er-Jahre.)

·     Verband der Bergbauindustriearbeiter

·     Gesamtverband der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs

·     Deutscher Holzarbeiterverband

·     Nahrungsmittel- und Getränkearbeiter-Verband

·     Verband der Lithographen und Steindrucker

·     Zentralverband der Angestellten

·     Zentralverband der Steinarbeiter Deutschlands (Bezirks­büro in Marienberg mit Gewerkschaftssekretär Franz Wolf. Er war eine der festgefügtesten Organisationen im Oberwesterwald. Die Nachkriegszeit hatte den Basalt mit einem Schlage zu „Edelsteinen“ werden lassen. Und der einstmals geschundene Kipper wurde sich seiner Sendung bewußt. Mit der Nachfrage nach Steinen wuchs die Organisation, so daß es oft in keinem Steinbruch einen Arbeiter ohne Verbandszugehörigkeit gegeben hat. Wo ein Steinbruch vorhanden war, gab es auch eine Zahlstelle. Die Funktionäre und Mitglieder des Zentralverbandes der Steinarbeiter Deutschlands waren die Träger der modernen Arbeiterbewegung). Das Bezirksbüro in Marienberg war in der Adolfstr. 4 untergebracht.

 

Das Gewerkschaftskartell Marienberg zählte 1930 ca. 2500 Mitglieder.

 

Was die Beitragszahlung anbetrifft, bestand damals die Regelung: 1 Stundenlohn = 1 Wochenbeitrag (durchschnittlich 50 - 60 Pfg.).

 

Auch die Lehrerschaft war weiterhin organisiert. Etwa um 1921/22 sind nachgewiesen:

 

·     Kreislehrerverein Oberwesterwald: 1. Vorsitzender Lehrer Freitag (Hütte), 2. Vorsitzender Lehrer Abel (Hachenburg);

·     Allgemeiner Lehrerverein für den Regierungsbezirk Wiesbaden, Zweigverein Hachenburg: 1. Vorsitzender Lehrer a.D. Görz (Hachenburg), 2. Vorsitzender Lehrer Lindner (Altstadt);

·     Katholischer Lehrerverein für den Regierungsbezirk Wiesbaden, Zweigverein Marienstatt: Vorsitzender Lehrer Sahmer (Hachenburg).

 

Die Kleinarbeit der Gewerkschaften läßt sich bei weitem nicht im gehörigen Ausmaß würdigen. Die zahllosen Vertretungen vor den Arbeitsgerichten, Verhandlungen mit einzelnen Arbeitgebern, Unternehmerverbänden, öffentlichen Körperschaften, die von vielen Verbänden noch nebenamtlich durchgeführt wurde, hat das Arbeitsgebiet derselben ungeheuer vergrößert. Im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden sind noch heute Unterlagen über Vertretung arbeitsloser Steinarbeiter im Verwaltungsausschuß des Arbeitsamtes vorhanden.

 

Bildungsbestrebungen durch Wort und Schrift nahmen ebenfalls einen großen Umfang an. In Winterkursen wurden alle für die Arbeitnehmerschaft wichtigen Fragen ausgiebig behandelt. Alle Vorträge waren gut besucht und den Teilnehmern wurde eine kleine Fahrtkostenvergütung gezahlt.

 

Vielerorts wurden auch Gewerkschaftsjugendgruppen gebildet, die als entwicklungsfähig bezeichnet wurden.

 

Etwas ausführlicher soll nun auf den Bergarbeiterstreik eingegangen werden, der vom 28. Januar bis 19. März 1924 dauerte. Aus einem Bericht des Landratsamtes Marienberg an die Regierung in Wiesbaden zitiere ich auszugsweise:

„…ist der seit dem 28. Januar d.Js. herrschende Streik der Bergarbeiter mit dem gestrigen Tage beendet worden, nachdem die am Montag in Herborn unter dem Vorsitz des Herrn Regierungs-Präsidenten Haenisch stattgefundene Verhandlung in dem Haupt-Punkte, der Frage der Arbeitszeit, durch Annahme der Forderung der Arbeitgeber durch die Arbeitnehmer eine Einigung erzielt worden war. In der daraufhin am Dienstag stattgefundenen Versammlung der Bergarbeiter wurde mit Stimmenmehrheit beschlossen, den Streik abzubrechen und die Arbeit wieder aufzunehmen. Bei sämtlichen Gruben wurde bereits gestern der Betrieb wieder aufgenommen und es ist damit zu rechnen, daß die kleineren Gruben in den nächsten Tagen wieder mit dem Vollbetrieb beginnen werden. Zur Wiedereinstellung der gesamten Belegschaft wird es nicht mehr kommen, vielmehr wollen die Arbeitgeber nur noch die unbedingt zur Aufrechterhaltung ihres Betriebes notwendigen Arbeiter einstellen. Ungefähr werden es 80 Mann sein, die auf Wiedereinstellung bei den kleineren Gruben nicht mehr rechnen können. Bei der größten Grube, der Grube Alexandria, liegen aber die Verhältnisse wesentlich anders. Durch den fast achtwöchigen Streik und das Stillegen der Grube sind die Nebenstrecken fast ganz eingestürzt und muß erst jetzt mit dem Wiederaufschluß der Grube begonnen werden. Nach Mitteilung der Verwaltung der Grube ist beabsichtigt, die sich meldenden Arbeiter nach Bedarf, je nach dem Fortschreiten der Aufschlußarbeiten einzustellen. Immerhin werden mindestens 4 Wochen vergehen, bis die Gesamtzahl der wiederanzunehmenden Belegschaft, die von der Grubenverwaltung auf ungefähr 750 Mann beziffert wird, eingestellt ist. Die frühere Belegschaft der Grube Alexandria betrug ungefähr 900 Mann. Wenn man berücksichtigt, daß von der gesamten, neu einzustellenden Belegschaft von 750 Mann 50 Arbeiter sind, die früher nicht zur Belegschaft gehörten, so kommen von der früheren Belegschaft nur ungefähr 700 Mann zur Wiedereinstellung, während 200 Mann nicht mehr eingestellt werden. Der größte Teil dieser nicht zur Wiedereinstellung gelangenden Arbeiter dürfte aus dem Kreise Westerburg stammen.

Bei der Grube Wilhelmszeche in Bach, die… ihren Betrieb am 1. März wieder aufgenommen hat, sind von der früheren Belegschaft von ungefähr 500 Mann nur 350 zur Wiedereinstellung gelangt. Nach Wiederaufnahme des Vollbetriebes auf sämtlichen Braunkohlengruben wäre das Bild ungefähr das, daß von der Gesamtzahl der früheren Belegschaften vor dem Streik ungefähr rund 400 Mann nicht mehr zur Einstellung gelangt wären. Von diesen 400 Mann haben bereits eine ganze Anzahl Arbeit in den Steinbrüchen gefunden, soweit sie im hiesigen Kreis wohnen und es ist damit zu rechnen, daß eine weitere Anzahl dieser Arbeiter in nächster Zeit Gelegenheit finden wird, bei anderen Steinbruchunternehmen, die in Kürze neu begonnen werden sollen, Arbeit zu finden.

Was nun die Schutzpolizeimannschaften anbetrifft, so bittet die Grubenverwaltung die Polizeimannschaft noch bis zu Anfang nächster Woche hier zu belassen, weil jetzt noch nicht übersehen werden kann, welche Haltung die nicht zur Wiedereinstellung gelangenden Arbeiter einnehmen werden. Wenn auch nicht mehr damit zu rechnen ist, daß von diesen Arbeitern versucht wird, die Arbeitswilligen von der Arbeit abzuhalten, so liegt doch immerhin die Möglichkeit nahe, daß diese Arbeiter sich irgend wie, sei es durch Sabotageakte an der Werksleitung zu rächen versuchen. Ich werde aber mit der Werksleitung in Fühlung bleiben und sobald sich die Weiterbelassung der Schutzpolizei für nicht mehr notwendig erweisen sollte, die Rückkehr der Polizeimannschaften sofort veranlassen…“

 

Mit Schreiben vom 19.2.1924 hatte sich die Elektrizitätswerk Westerwald AG mit damaligem Sitz in Marienberg bereit erklärt, im Prinzip mit der Tragung der Kosten für die Überwachung der Anlagen während des Streiks durch Landjägerei- und Schutzpolizeibeamte einverstanden zu sein.

 

Damit überhaupt überliefert wird, um welche Forderungen es bei diesem Bergarbeiterstreik gegangen ist, nachstehend auszugsweise eine Aktennotiz des Landrats des Oberwesterwaldkreises vom 20.3.1924:

„…An der am Montag, den 17. d. Mts. im Rathaus zu Herborn unter dem Vorsitz des Herrn Regierungs-Präsidenten Haenisch stattgefundenen Verhandlung zwecks Beilegung des Bergarbeiterstreiks nahmen als Vertreter der Arbeitgeber Bergassessor Piper, Direktor Lechler, Bergverwalter Nix und der Syndikus des Arbeitgeberverbandes Dr. Henrich, als Vertreter der Arbeitnehmer 2 Vertreter des Verbandes der Bergarbeiter (Gewerkschaftssekretär Becker und Schumacher), 2 Vertreter des Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter (Gewerkschaftssekretär Luy und Schmidt) sowie die Betriebsobmänner der einzelnen Braunkohlengruben teil. Als Vertreter des Landrats war Kreissekretär Graf anwesend. Nach Eröffnung der Verhandlungen durch Herrn Regierungspräsidenten Haenisch erteilte dieser dem Vertreter der Arbeitnehmer, Gewerkschaftssekretär Becker, das Wort, der die Ansichten der Arbeitnehmer darlegte, im wesentlichen aber von der Stellung von Forderungen Abstand nahm. Der Vertreter der Arbeitgeber, Herr Bergassessor Piper, legte nochmals die Forderungen der Arbeitgeber dar. Im Verlauf der Verhandlungen wurde in der Frage der Urlaubszeit und der Frage der Mindestlöhne und der Lohnzahlungen eine Einigung erzielt, insofern als die Arbeitgeber erklärten, daß die Streiktage als Urlaubstage nicht angerechnet würden und daß in der Frage der Mindestlöhne eine Entscheidung der Arbeitsgemeinschaft herbeigeführt werden solle. In der Frage der Arbeitszeit blieben sie auf ihrer Forderung bestehen, ebenso verhielten sie sich zu der Forderung der Arbeitnehmer, auf Wiedereinstellung sämtlicher Arbeiter, ablehnend, Die Vertreter der Arbeitnehmer erklärten sich nach erfolgter Beratung bereit, die Forderung bezüglich der Arbeitszeit, wie sie auch durch den zweiten Schiedsspruch festgelegt ist, bedingungslos anzuerkennen, während sie in Bezug auf die Wiedereinstellung sämtlicher Arbeiter die Forderung erhoben, daß nach Möglichkeit sämtliche Kriegsbeschädigte sowie die Mitglieder der Betriebsräte zum mindesten wieder eingestellt würden. Ihre endgültige Entscheidung über die Frage der Wiederaufnahme der Arbeit behielten sie sich vor, bis zur erfolgten Abstimmung der streikenden Arbeiter, die am folgenden Tage in Höhn stattfinden solle. Der Herr Regierungspräsident Haenisch schloß hierauf die Verhandlungen mit der Aufforderung an die Arbeitgeber, in der Frage der Wiedereinstellung der Arbeiter ein Entgegenkommen zu zeigen, wobei er ausdrücklich erklärte, daß hiervon ausgenommen seien die wegen strafrechtlichen Vergehen verfolgten Arbeiter, und mit der Aufforderung an die Arbeitnehmer, bei den am Dienstag stattfindenden Verhandlungen nach Möglichkeit auf Wiederaufnahme der Arbeit durch die Arbeitnehmer hinzuwirken. Nach Schluß der Verhandlung teilte Herr Regierungs-Präsident Haenisch… noch mit, daß mit sofortiger Wirkung die Genehmigung zur Veranstaltung von Haussammlungen aufgehoben sei…“

 

Auch die Schulchronik der Gemeinde Fehl-Ritzhausen enthält interessante Aufzeichnungen von diesem Bergarbeiterstreik:

„Im Januar 1924 brach auf der Alexandria (Höhn) wegen der Arbeitszeit ein Streik aus. Die Arbeiter der Wilhelmszeche (zum großen Teil Gemeindemitglieder) traten in Sympathiestreik, der 7 Wochen dauerte. Dann fanden sich einige Arbeitswillige, gegen die von der Arbeiterschaft Protestkundgebungen gemacht wurden. Es wurde ein großer Protestzug gebildet. Kinder trugen Schilde „Ihr Streikbrecher“ usw. Hunderte von Männern und Frauen umstellten die Zeche. Man hielt den Arbeitswilligen vertrocknete Brotreste, Speckschwarten u. dgl. vor: „Hier habt ihr zu essen“. Schließlich wurde Gendarmerie u. Schutzpolizei aufgeboten. Der Streik brach zusammen, da sich infolge der allgemeinen Arbeitslosigkeit Auswärtige genug zur Arbeit meldeten. Die große Arbeitslosigkeit machte sich den ganzen Winter hindurch insofern fühlbar, als Tag für Tag Arbeitslose bettelnd vorsprachen. Es kam vor, daß an einem Tage 3 Arbeitslose im Schulhaus zusprachen…“

 

Aber schon im nächsten Jahr kam neues Unheil auf den Bergbau zu. Die gleiche Schulchronik berichtet:

„…1925. Von Oktober 1925 ab wird die Wilhelmszeche bei Bach stillgelegt. Sie war im Besitz des Thyssen-Konzerns, der sie aus Privathand erworben hatte. Besonders in den Kriegs- u. Inflationsjahren war die Nachfrage nach Braunkohle sehr rege, u. die Wilhelmszeche war in dieser Zeit aus kleinen Anfängen mächtig emporgeblüht. 2 Schächte auf dem eigentl. Zechengebiet und der Adolfsschacht an dem Landwege nach Hof, unter dem Schafstall waren in Tätigkeit. Eine 2gleisige Kleinbahn und Transportautos besorgten die Abfuhr. Zeitweilig waren an 600 Arbeiter beschäftigt. Für die Beamten wurden in Stockhausen, Ritzhausen (am Bahnhofsweg), auf der Zeche Wohnhäuser bezw. Wohnbaracken gebaut. Viele Einheimische fanden dort dauernd Beschäftigung. Nachdem im Laufe der beiden letzten Jahre (24 u. 25) der Absatz immer schwieriger wurde wegen des steigenden Wettbewerbs der Steinkohle, wurde die Wilhelmszeche ab 1. Oktober 1925 stillgelegt. Die Häuser u. Wohnbaracken wurden verkauft oder vermietet, Maschinen, Gleise, Förderwagen verkauft (z.T. als Alteisen), das Mobilar versteigert u. auch die eigentlichen Zechenbauten auf Abbruch versteigert. Die Schächte werden zugeworfen. Die Firma Th. behält nur noch die Rechte an dem Grubenfeld. Damit hat die Industrialisierung dieser Gegend wieder einen Schritt rückwärts getan.

Arbeitslage. Als Ersatz hierfür hatte die Arbeit in den Steinbrüchen diesen Sommer eine nie dagewesene Blüte zu verzeichnen. Es wurde in der Umgegend eine Menge neue Brüche eröffnet, zum großen Teil mit unzureichenden Mitteln. Der Absatz ging rasch. Hohe Löhne wurden gezahlt. Es war keine Seltenheit, daß Kipper einen Monatsverdienst von über 500 M nach Hause brachten. Im Herbst kam der Umschwung. Das Geschäft wurde stockend. Die meisten kleinen Unternehmer brachen zusammen. Auf Ritzhäuser Gebiet traf dieses Geschick den Steinbruch H.W. Heinz in der Glanzrippe (der im Sommer 85 Mann beschäftigte) u. auch den Steinbruch Weber auf der Gemeindeviehweide auf dem Büschel (Letzterer war von der Gemeinde abgepachtet worden). Infolgedessen setzte im Herbst starke Arbeitslosigkeit ein, die den ganzen Winter anhielt. 20 Mann u. mehr waren zu Zeiten ohne Arbeit. Da wurden Aufräumungsarbeiten auf der Viehweide unter der Fehler Hecke in Angriff genommen, die aus der Erwerbslosenfürsorge und Gemeindezuschüssen finanziert wurden u. den ganzen Winter hindurch andauerten…“

 

Infolge der Weltwirtschaftskrise griff auf dem Oberwesterwald die Arbeitslosigkeit weiter um sich. Ich habe in den Arbeitspapieren meines Vaters gesehen, wie oft er in Bergwerken entlassen wurde und „Abkehrscheine“ erhielt oder der Steinbruch F.W. Hamann in dieser Zeit zur Stillegung kam und er in dieser Zeit Interimsmarken in seine Mitgliedskarte des Zentralverbandes der Steinarbeiter Deutschlands klebte.

 

Die Erwerbslosen waren schon froh, wenn sie zu Meliorationsarbeiten eingesetzt wurden und etwas verdienen konnten.

 

Die trostlose Lage ging auch im Winter 1929/30 weiter. Auch hierzu ist in der Schulchronik von Fehl-Ritzhausen vermerkt:

„…Trotz der günstigen Witterung des Winters hielt aber doch auch auf dem Westerwalde, wie in den meisten Gegenden Deutschlands, eine große wirtschaftliche Not ihren Einzug. Schon im Frühherbst stellte ein Industriebetrieb nach dem andern seine Arbeit ein. Die Folge davon war, daß die größte Zahl der Arbeiter arbeitslos wurden und auf die Unterstützung in der Arbeitslosenfürsorge angewiesen war. Die Zahl der Arbeitslosen im Oberwesterwaldkreis schwankte den ganzen Winter über zwischen 1600 und 2000. Man kann wohl sagen, daß der letzte Winter der wirtschaftlich kritischste seit Kriegsende bis jetzt war…“

„1930/31. Wirtschaftskrise. Die oben erwähnte schlechte Wirtschaftslage wurde nicht, wie man allgemein erhofft und erwartet hatte, mit dem Frühjahrsbeginn behoben. Es trat vielmehr im Laufe des Jahres eine bedeutende Verschärfung ein. Eine Werks- und Betriebsstillegung folgte der anderen, und der weitaus größte Teil der erwerbstätigen Bevölkerung ist auf Arbeitslosen- bzw. Krisenunterstützung angewiesen. Die Zahl der Erwerbslosen stieg im Laufe des letzten Jahres bis zu annähernd 5.000.000 innerhalb des Reichsgebietes. Auf dem Gebiete der Basaltindustrie erfolgte eine vollständige Lahmlegung, die auch alle unsere einheimischen Arbeiter erwerbslos machte. Obwohl hier und da einige Anzeichen für eine Wirtschaftsbelebung vorhanden sind, darf man leider noch nicht an die Überwindung der Notzeit glauben. Um die erwerbslosen Jugendlichen vor dem Müßiggange zu bewahren, wurden im hiesigen Orte… Fortbildungskurse eingerichtet. Die Teilnahme… ist freiwillig und selbstverständlich kostenlos. Auch die Lehrenden übernahmen ihr Amt ohne Vergütung. Die Kurse werden gut besucht und finden an zwei Abenden in der Woche im hiesigen Schulsaale statt…“

„…Die Wirtschaftskrise steigerte sich noch im Laufe des Jahres bedeutend. Die heimische Industrie ist vollständig lahmgelegt, so daß alle Arbeiter im hiesigen Bezirk erwerbslos sind. Infolge der langen Dauer der Arbeitslosigkeit erhalten die meisten unserer Arbeiter aus der Erwerbslosen- und Krisenfürsorge keine Unterstützungen mehr und fallen der Wohlfahrtsfürsorge zur Last…“

„…1932/33. Auch das Jahr 1932 brachte trotz zahlreicher Notverordnungen keine Besserung der allgemeinen Wirtschaftslage, sondern die Krise steigerte sich noch mehr. In unserem Dorfe wurde eine Besserung der Lage durch folgende Maßnahmen herbeigeführt: Eine Anzahl Arbeiter gründeten eine Genossenschaft auf gemeinnütziger Grundlage und setzten den Steinbruch in der Fehler Hecke in Betrieb. Durch die rührige Tätigkeit des Herrn Bürgermeister Schuster konnte sich die Gesellschaft eines den Verhältnissen entsprechenden guten Absatzes erfreuen. Durch diese Arbeitsgelegenheit sank die Zahl der Wohlfahrts-Unterstützungs­empfän­ger von 25 auf 10. Im ganzen konnten im Laufe des Sommers etwa 16.000 Mark an Lohn ausgezahlt werden. Dies bildete für die Arbeiter einen gewaltigen Vorteil und für die Gemeinde eine starke Entlastung…“

 

Gegen das Massenelend und die Arbeitslosigkeit gab es im Oberwesterwald viele Demonstrationen und Kundgebungen. Höhepunkt war die Demonstration vom 4. Januar 1932.

 

Viel Zeit wurde von den Gewerkschaften zur Vertretung ihrer arbeitslosen Mitglieder aufgewendet. Auch in Sitzungen des Kreistages kam dieses Problem ständig zur Sprache. So richtete, wie aus einem Bericht der Westerwälder Zeitung vom 23.8.1932 ersichtlich ist, Gewerkschaftssekretär Franz Wolf von den freien Gewerkschaften, zugleich Kreistagsabgeordneter der SPD, auch namens der christlichen Gewerkschaften die Bitte an den Kreisausschuß, eine nochmalige Nachprüfung der verschiedenartigen Landbewertungs-Grundsätze bei den Wohlfahrts- und Krisenunterstützungssätzen (Anm.: heutige Arbeitslosenhilfe) vorzunehmen, insbesondere die unterschiedliche Ertragsrechnung einer Revision zu unterziehen, weil dies mit großen Härten für die erwerbslose Arbeiterschaft verbunden sei.

 

Für die aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Mitglieder gab es übrigens den „Zentralverband der Arbeitsinvaliden und Witwen Deutschlands“. Der Monatsbeitrag war auf 0,60 RM festgesetzt.

 

Nicht nur in den Industrien, auch im öffentlichen Dienst waren eine Vielzahl konkurrierender Verbände vorhanden. Das wird deutlich am Beispiel der Deutschen Reichspost. Es sollen hier nur einige Postpersonalorganisationen aufgezählt werden: Reichsverband deutscher Post- und Telegraphenbeamten; Bund deutscher Telegraphenarbeiter-, Vorarbeiter und -Hand­werker; Verband der unteren Post- und Telegraphenbeamten; Verband Deutscher Post- und Telegraphen-Assisten­ten; Deutscher Verkehrsbund; Verein der Post- u. Telegr.-Unter­beamten;

Bund der Post- und Telegraphenbeamten der Zivilanwärterlaufbahn usw.

 

Von der Lehrerschaft ist bekannt, daß sie auch in den Zeiten der Weimarer Republik weiterhin in Lehrervereinen zusammengeschlossen war. Eine Annonce in der Westerwälder Zeitung vom 4.2.1919 belegt diese Aktivitäten:

„An die Lehrer und Lehrerinnen des Oberwesterwaldkreises. Im Auftrage des Hachenburger Lehrervereins und mit Zustimmung der Vorstände der anderen Lehrervereine des Kreises lade ich Sie zu einer Versammlung am Samstag, den 8. Februar, nachmittags 3 Uhr, in das Hotel Schmidt zu Hachenburg ein. Die vorläufige Tagesordnung besteht in: 1. die Wahl des Kreislehrerrates, 2. die Besprechung wichtiger Schulfragen… Weitere Vorschläge für die Tagesordnung bitte ich mir mitzuteilen… Der Vorsitzende des Hachenburger Lehrervereins G. Görz.“

 

Abb. 4.1   Konferenz des Zentralverbandes der Steinarbeiter Deutschlands in Marienberg; Nebeneingang zum Saalbau Dieck; ganz rechts Gewerkschaftssekretär Franz Wolf; Bildmitte mit „Fliege“ August Diehl; hinterste Reihe 6. von rechts: Hermann Kempf

 


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